Recht2

BAG: Arbeitnehmer kann kein bEM erzwingen

BAG

§ 167 SGB IX begründet keinen Individualanspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungs­managements (bEM). (amtl. Leitsatz)

BAG, Urteil vom 07.09.2021 – 9 AZR 571/20 - 

Arbeitnehmer: Kläger will bEM erzwingen

Der bei der beklagten Gemeinde angestellte Kläger war im Jahr 2018 an 122 Arbeitstagen krankheitsbedingt arbeitsunfähig und im Jahr 2019 vom 01.01. bis zum 25.08. (86 Arbeitstage). Mit anwaltlichem Schreiben vom 02.08.2019 verlangte der Kläger die Durchführung eines bEM. Die Beklagte lehnte dies ab.

Der Kläger erhob Klage und berief sich im Rahmen des Verfahrens auf § 167 Abs. 2 SGB IX und einen daraus resultierenden unmittelbaren Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines bEM, weil er in den Jahren 2018 und 2019 jeweils länger als sechs Wochen krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen sei.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, während die Berufungsinstanz (LAG) sie abwies.

BAG: Wille des Gesetzgebers maßgebend

Das BAG bestätigte die Einschätzung des LAG und stellte fest, dass der Kläger den begehrten Anspruch nicht aus § 167 Abs. 2 SGB IX herleiten könne. Dies ergäbe eine Auslegung der Norm. Dabei sei der zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, der anhand des Wortlauts der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang zu ermitteln sei.

Nach der Norm könne nur die zuständige Interessenvertretung, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, die gebotene Klärung verlangen. Entsprechende Rechte und Aufgaben sehe die gesetzliche Regelung für die betroffenen Arbeitnehmer dagegen nicht vor.

Die Regelungssystematik lasse zudem darauf schließen, dass nicht jeder Pflicht des Arbeitgebers ein ent­sprechender Anspruch bzw. ein entsprechendes Recht des Arbeitnehmers gegenüberstehe.

Ein Anspruch des Klägers auf Einleitung und Durchführung eines bEM ergebe sich auch nicht aus dem Gebot der Rücksichtnahme als vertragliche Nebenpflicht oder sonstigen Schutzpflichten des Arbeitgebers.

Entscheidung richtig

Dem BAG ist zuzustimmen, wenn es feststellt, dass aus dem Gebot der Rücksichtnahme- bzw. der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers keine Rechtsfolge abgeleitet werden kann, die der Gesetzgeber bewusst ausgeschlossen hat.


Gesetzestext:

§ 167 Prävention

(1) Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.

(2) 1Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). 2Beschäftigte können zusätzlich eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen. 3Soweit erforderlich, wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. 4Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. 5Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. 6Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Absatz 2 Satz 2 erbracht werden. 7Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. 8Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.

(3) Die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter können Arbeitgeber, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement einführen, durch Prämien oder einen Bonus fördern.

 

 

 


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