LAG SH: Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, sich in seiner Freizeit zu erkundigen, ob sein Dienstplan geändert wurde

LAG Schleswig-Holstein

Ein Mitarbeiter ist nicht verpflichtet, sich in seiner Freizeit zu erkundigen, ob sein Dienstplan geändert worden ist. Er ist auch nicht verpflichtet, eine Mitteilung des Arbeitgebers - etwa per Telefon - entgegenzunehmen oder eine SMS zu lesen. Nimmt er eine Information über eine Dienstplanänderung nicht zur Kenntnis, geht ihm diese erst bei Dienstbeginn zu.

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.09.2022 - 1 Sa 39 öD/22

Dienstplanänderung in Freizeit

Der Kläger ist seit dem Januar 2003 bei der Beklagten als Notfallsanitäter in Vollzeit tätig. Die Einsatzzeiten richten sich nach der Betriebsvereinbarung „Arbeitszeitgrundsätze in der RKISH - Teil: Einsatzdienst“ (BVA). Aus dem Rahmendienstplan wird ein Soll-Dienstplan und daraus der Ist-Dienstplan entwickelt. Die Mitarbeiter der Beklagten können über das Internet den aktuellen Ist-Dienstplan einsehen. Wegen der Corona-Pandemie mussten die Mitarbeiter im unkonkreten Springerdienst in den Fällen, in denen keine weitere Konkretisierung des Dienstes erfolgte, telefonisch um 7.30 Uhr von zuhause aus ihre Einsatzfähigkeit mitteilen.

An zwei Tagen hatte die Beklagte dem Kläger jeweils erst am Vortag Tagschichten mit Dienstbeginn um 6.00 Uhr zugewiesen und in den Ist-Dienstplan eingetragen. Versuche, den Kläger telefonisch zu erreichen, schlugen fehl. Die Beklagte übersandte dem Kläger jeweils eine SMS mit der Anzeige des konkreten Dienstes. Der Kläger zeigte an den streitigen Einsatztagen jeweils um 7.30 Uhr telefonisch seine Bereitschaft zur Arbeitsleistung an. Er wurde von der Beklagten aber nicht eingesetzt. Die Beklagte erteilte dem Kläger im ersten Fall eine Ermahnung und im zweiten eine Abmahnung, bewertete die Tage als unentschuldigtes Fehlen und zog dem Kläger entsprechend Stunden von seinem Arbeitszeitkonto ab.

Informationspflicht als Nebenpflicht?

Der Kläger erhob Klage und berief sich im Rahmen des Verfahrens darauf, nicht verpflichtet zu sein, sich während seiner Freizeit darüber zu informieren, wann er zu arbeiten habe, zumal die Beklagte die entsprechenden technischen Möglichkeiten wie ein Diensthandy oder einen PC nicht zur Verfügung stellt. Die Beklagte nahm hingegen an, dass eine Informationspflicht als arbeitsvertragliche Nebenpflicht bestehe. Der Kläger habe das Telefon nicht abgenommen und auf die SMS nicht reagiert. Er habe daher unentschuldigt gefehlt.

Das Arbeitsgericht Elmshorn hatte die Klage abgewiesen, das LAG Schleswig-Holstein gab ihr hingegen statt. Sie sprach dem Kläger eine Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto und die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte zu.

Arbeitsangebot ordnungsgemäß

Der Kläger habe seine Leistung zur rechten Zeit am rechten Ort und in rechter Weise angeboten. Die kurzfristigen Dienstplanänderungen seien dem Kläger nicht zugegangen und ihm gegenüber deswegen auch nicht wirksam geworden. Die Beklagte habe nicht nachweisen können, dass dem Kläger die Mitteilung über die Änderung des Dienstplans zugegangen sei. Telefonisch hatte sie den Kläger unstreitig nicht erreicht und mit der Kenntnisnahme des Inhalts der SMS habe die Beklagte nicht vor 7:30 Uhr des folgenden Tages rechnen dürfen.

LAG: Recht auf Unerreichbarkeit

Der Kläger sei nicht verpflichtet, während seiner Freizeit eine dienstliche SMS aufzurufen, um sich über seine Arbeitszeit zu informieren und damit zugleich seine Freizeit zu unterbrechen. Beim Lesen einer SMS, mit der der Arbeitgeber sein Direktionsrecht im Hinblick auf Zeit und Ort der Arbeitsausübung konkretisiert, handele es sich um Arbeitszeit. Der Kläger erbringe mit dem Lesen eine Arbeitsleistung.

Die Beklagte verlange vom Kläger eine Arbeitsleistung, wenn sie von diesem erwartet, eine dienstliche SMS zu lesen oder sich über Zeit und Ort seiner Arbeitsaufnahme im Internet zu informieren. Denn damit handele der Kläger ausschließlich zur Befriedigung eines fremden Bedürfnisses, nämlich des Bedürfnisses der Beklagten, die ordnungsgemäße Organisation ihrer Arbeitsabläufe durch eine sachgemäße Personalplanung zu gewährleisten. In seiner Freizeit stehe es dem Kläger aber ein Recht auf Unerreichbarkeit zu. Es gehöre zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht. Arbeit würde nicht deswegen zur Freizeit, wenn sie nur in zeitlich ganz geringfügigem Umfang anfällt.

Der Kläger verhalte sich auch nicht treuwidrig, wenn er darauf besteht, in seiner Freizeit keiner dienstlichen Tätigkeit nachzugehen. Die Beklagte verhielte sich vielmehr widersprüchlich, wenn sie einerseits dem Kläger Freizeit gewährt und andererseits von ihm verlangt, Arbeitsleistungen zu erbringen. Eine Nebenpflicht, sich in seiner Freizeit nach seinen Dienstzeiten zu erkundigen, bestehe nicht.


 


Nach oben